Weltfrauentag – jährlich grüsst das Murmeltier
Wieder ist es 8. März und wir denken an die Leistungen, Errungenschaften und die immer noch fehlende Anerkennung und Sichtbarkeit von Frauen in unserer Gesellschaft. Dieses Jahr kommt hinzu, dass wir 100 Jahre Frauenwahlrecht feiern, jawohl feiern, können. Vor 100 Jahren wurde auch in Österreich Wirklichkeit, wofür Frauen in vielen Ländern der Welt seit Jahrzehnten gekämpft hatten.
Mit dem Recht zu wählen wurde ein ganz wesentlicher Schritt in Richtung Selbstbestimmung gegangen. Die Beweggründe der Suffragetten, der Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht in England, lagen v.a. darin, dass es Frauen dazu brauche, soziale Missstände mit echten Maßnahmen zu bekämpfen. Die Erfahrung, die Emmeline Pankhurst, Frontfrau der Suffragettenbewegung, gemacht hatte, waren: unhygienische Zustände, Hunger und Kälte für Menschen in Armenhäusern, sehr oft ging es um Kinder. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es hierfür keine Mittel geben sollte.
Womit aber waren die „Suffragetten“ assoziiert? Gewaltbereite Frauen, die sich wichtig machten, vor Gesetzesbruch nicht zurückschraken und sogar in den Hungerstreik traten. Irre, die sich bei Pferderennen vor galoppierende Pferde warfen. Mutmaßlich hässliche Frauen, die „keinen abbekamen“. Als sich Pankhurst vor Gericht selbst verteidigte, sagte sie: „Wie sind nicht hier, weil wir Gesetze BRECHEN wollen. Wir sind hier, weil wir Gesetze MACHEN wollen.“
Mehr als 100 Jahre später staunen wir, was die Vorkämpferinnen der Frauenrechte alles in Kauf genommen haben. Was hat sich verändert, und v.a. was hat sich nicht verändert?
Mehrere von Frauen-, Friedens-, Umweltbewegung und Wirtschaftsaufschwung geprägten Jahrzehnten später haben wir eine grundsätzliche rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen
. Aber wie schaut die gelebte Wirklichkeit aus? 51% der österreichischen Bevölkerung ist weiblich, während es
- 37% weibliche Abgeordnete im Nationalrat
- 27% weibliche Abgeordnete im NÖ Landtag
- 12% Bürgermeisterinnen in NÖ Gemeinden, 7,5% bundesweit
- 18% Aufsichtsrätinnen in börsennotierten Unternehmen
gibt. Die Liste ließe sich für weitere Top-Positionen in Wirtschaft, Wissenschaft, oder Politik fortsetzen.
Der Unterschied zwischen den mittleren Bruttojahreseinkommen von Frauen und Männern liegt bei 38%, Frauen verdienen im Mittel daher rund 62% von dem, was Männer verdienen. Das liegt zum Teil an der Teilzeit, zum Teil an schlechter bezahlten Berufen, die vermehrt von Frauen ausgeübt werden. Nimmt man den Teilzeitfaktor heraus, erreichen Frauen im Mittelwert 84% des Männereinkommens.
Wo sind die Falltüren, die sich für Mädchen und Frauen auftun:
- Klischeehaftes anerzogenes Rollenverhalten – lieb und nett sein, fehlendes Vertrauen in körperliche Anstrengung und Risikobereitschaft. Die neue Welt der Selbstinszenierung auf social media unterstützt die Erstarrung der Rollenbilder.
- Längere Karenz-/Auszeiten und Teilzeitarbeit führen langfristig direkt in die Altersarmut.
- Persönliche und sexualisierte Kritik in der Öffentlichkeit. Frauen werden auch heute noch stärker über ihr Äußeres, ihre Stimme, ihr Gehabe beurteilt als für das, was sie sagen oder tun. Die öffentliche Verurteilung wird über soziale Medien noch brutaler und schneller verbreitet und ist schwerer wegzublenden.
Es geht nicht darum, Frauen zu bevorzugen, Männer zu diskriminieren. Das ist kein Geschlechterkampf, bei dem es Gewinner und Verlierer geben muss. Hier geht es um die Chance auf ein selbstbestimmtes Leben ohne Startnachteil.
Die Gesellschaft ist im Wandel. Arbeit ist im Wandel. Werte werden hinterfragt
. Da bietet sich die Sehnsucht nach dem Paradies, das es so nie gegeben hat, als Ausweg an. Ein Schein-Sicherheit von Altbekanntem.
Wenn man heute jemanden fragt, ob ein Partner darüber entscheiden soll, ob der andere einem Erwerb nachgehen darf, würde man zu Recht fragen, ob der Fragesteller noch bei Sinnen wäre. Bis in die 1970er Jahre hinein war das in Österreich geltendes Recht. Zulasten der Frau natürlich.
Die neuen Errungenschaften sind der öffentliche Diskurs über die Ausübung von sexualisierter Macht wie bei der #metoo-Debatte. Verharmlosungen, das Bestreiten des Ausmaßes, die Darstellung als übertrieben und überzogen – all das haben wir in den letzten Monaten und wenigen Jahren mitbekommen. Es beginnt zu bröckeln im Gefüge der männlich dominierten Macht: von der Film- und Sportindustrie bis zur katholischen Kirche. Es wird immer schwerer zu behaupten, die Frauen wollten es ja so, haben ja mitgespielt. Wenn jemand am Dienstag die Dokumentation im Fernsehsender arte über Vergewaltigung, Missbrauch und Nötigung zu Abtreibungen von Nonnen durch Priester gesehen hat, kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Frauenrechte sind Menschenrechte.
Was ist zu tun:
- Die Ermutigung von jungen Menschen, die eigenen Talente zum Blühen zu bringen und sich selbst etwas zuzutrauen.
- Gemeinsame Kinderbetreuung: Elternzeit ermöglichen und Pensionssplitting automatisieren.
- Bewertung und Anerkennung von Erwerbsarbeit, Familienarbeit und ehrenamtlichen Tätigkeiten neu diskutieren und Lösungen finden.
- Gendern: Ja auch das lästige I oder _… oder *… Es ist Schluss mit „mitgemeint“, denn die Sprache verändert das Denken.
- Quotenregelungen, dort, wo es offensichtlich anders nicht funktioniert.
- Identitätsstiftende Werte für Frauen und Männer neu denken.
- Werthaltungen von Menschen, die aus patriarchalen Strukturen kommen und diese beibehalten wollen, weder politisch instrumentalisieren lassen, noch aktionslos zur Kenntnis nehmen.
- Gewaltpräventions- und –schutzmaßnahmen insbesondere für Frauen evaluieren und niederschwellig verfügbar machen.
- Transparenz! Transparenz von Bewerbungsverfahren von Top-Positionen im öffentlich-rechtlichen Bereich und anderen Machtstrukturen. Hinschauen, wenn Gewalt System hat, dagegen ankämpfen und das System aufbrechen.
Verglichen mit den Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht, verglichen mit mutigen Frauen aus der Kriegszeit, der sexuellen Befreiung, jenen, die aufgestanden sind, um gleiche Rechte für Frauen als selbstverständlich zu erzwingen, sind wir heute gut dran. So gut, dass wir nicht nur die Verpflichtung haben, wachsam zu sein gegenüber rückschrittlichen Tendenzen, sondern auch dafür, dass Recht und Lebensrealität eine größere Schnittmenge haben. Blumen, Rabatte auf Mode- und Kosmetikartikel am Weltfrauentag sind gut gemeint, aber entbehrlich. Wir brauchen echte Schritte, mit denen wir konsequent weiter gehen.