Thema Pflege braucht ehrlichen Diskurs

8. Januar 2019

Eineinhalb Jahre nach Abschaffung des Pflegeregresses gibt es kein Konzept, wie die Zukunft der Pflege in Österreich aussieht und wie wir als Gesellschaft finanzieren werden, dass pflegebedürftige Menschen in Österreich gut umsorgt und behandelt werden. Es gibt bislang nur Ankündigungen. Morgen. Im nächsten Jahr. In der nächsten Legislaturperiode. Im nächsten Leben?

Der Sozialsprecher der ÖVP im NÖ Landtag hat mir Zynismus vorgeworfen, als ich im Dezember einmal mehr im Landtag das Vorlegen dieses Konzeptes gefordert und die verantwortungslose Abschaffung des Regresses ohne Begleitmaßnahmen kritisiert habe. Zynisch ist aber, notwendige Reformschritte zu unterlassen und Entscheidungen auf Kosten der nächsten Generationen zu verschieben. Zynisch ist, wenn es jemandem egal ist, ob dieses grundlegende Bedürfnis nach Sicherheit in gesundheitlichen Fragen und im Alter gewährleistet werden kann oder nicht. Ich bin noch nicht zur abschließenden Beurteilung gekommen, ob „sie“, also die Parteien in Regierungsverantwortung, nicht können oder nicht wollen.

Der größte Wunsch der meisten Menschen ist, möglichst lange zu Hause in ihrer gewohnten Umgebung leben zu können. 85 % der Pflegebedürftigen werden (noch) zu Hause gepflegt oder betreut. Von Angehörigen, durch mobile Pflegekräfte, durch sogenannte 24-Stunden-Betreuung. Wie ich ebenfalls vom natürlich nicht-zynischen Kollegen gelernt habe, darf man keinesfalls 24-Stunden-Pflege sagen. Das ist ein weiterer durchaus zynischer Anwendungsfall, ein Problem durch Umbenennung zu negieren. Denn natürlich übernehmen die 24-Stunden-Hilfen auch Pflegetätigkeiten, zumindest so sehr wie pflegende Angehörige. Aber indem sie nicht Pflegekräfte genannt werden, ist man fein raus mit der Verantwortung, welche Qualifikation dafür nachzuweisen ist, wie sie bezahlt werden und wer das kontrolliert. „Neusprech“ – 1984 lässt grüßen. Eigentlich eine typisch österreichische Lösung: „Mir wean kan Richter net brauchen.“ Aber im Sinne einer qualifizierten Pflege und Betreuung unserer Alten ist das nicht.

Die Abschaffung des Pflegeregresses unterstützt zudem einen Lenkungseffekt, den man sich nicht wünschen kann. Nämlich dann nicht, wenn man sowohl die Würde des Menschen als auch die volkswirtschaftliche Auswirkung im Auge hat
. Österreich forciert damit die teuerste und durch die betroffenen Pflegebedürftigen am wenigsten gewollte Form der Pflege: das Pflegeheim. In den Pflegeeinrichtungen sind unglaublich engagierte und qualifizierte Menschen tätig. Aber diese Ressource ist begrenzt und teuer und sollte bedarfsgerecht eingesetzt werden.

Wenn Sie mir einen kleinen Exkurs ins Bildungssystem erlauben, wo Reformschritte im Takt „2 vor, 2 zurück“ getanzt werden: Hier wird vielerorts das Zuviel an Mathematik kritisiert. Gerade im Zusammenhang mit Logik, Hochrechnungen der demografischen Entwicklung und Barwertrechnung des volkswirtschaftlichen Nutzens oder Schadens würde ich mir wünschen, dass wir endlich rechnen lernen!

Der Fachkräftemangel im Pflegesektor ist schon da. Das weitere Ansteigen der Lebenserwartung verschärft die Situation. Der Fachhochschullehrgang für Pflege in St. Pölten ist als einer von ganz wenigen nicht voll besetzt. Auch Pflegeassistenz- und Pflegefachassistenzkräfte werden zum Mangelberuf.

„Es ist Zeit.“ Was für ein schöner Slogan und wie schade, dass Kurz & Klein und ihre Mitverantwortlichen auf Landesebene darunter nur Machtverschiebung oder was auch immer verstehen, bloß nicht das Angehen von robusten Lösungen für die Menschen in diesem Land.

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