Schau(spiel)platz Europa

21. Juli 2020

Die Theater haben Corona-Pause, aber die politische Bühne wird unverdrossen bespielt.

In einem fünf Tage dauernden Gipfel wurde intensiv über das Budget der EU für die nächsten Jahre, ebenso wie über einen Wiederaufbauplan nach Corona verhandelt. 1.800 Milliarden Euro ist ein so unvorstellbar hoher Betrag, dass man sich unweigerlich auf die Suche nach Nullen macht, bloß um sicherzugehen.

Man ist versucht, einen Gipfel wie diesen als Spektakel abzutun, ein Spektakel mit Charakteren, die eine griechischen Tragödie alt aussehen lassen, was sie ja theoretisch auch ist.

Aber jedes „Abtun“ ist eine Relativierung dessen, was da passiert und womit Geschichte geschrieben wird.

Daher will ich es nicht „abtun“, aber doch dieses Stück für mich sortieren. Ort der Handlung ist Brüssel, das Publikum sind die Wählerinnen und Wähler jedes einzelnen Nationalstaates. Und das Publikum gilt es zu bedienen.

Es ist eines dieser modernen Spiele, bei dem es nur Gewinner gibt, wenn man den nachfolgenden Presseaussendungen und -konferenzen, Twittermeldungen und sonstigen Kanälen der Selbstdarstellung glaubt: Polen und Ungarn fühlen sich als Gewinner, weil allfällige Kriterien der Rechtsstaatlichkeit ohnehin so schwammig formuliert sind, dass eine Anwendung unmöglich wäre. Die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident freuen sich, dass es ein Abkommen gibt. Der österreichische Kanzler freut sich über einen Rabatt und darüber, dass er etwas nicht zugestimmt hat, was ohnehin nie zur Abstimmung vorgesehen war – der Schuldenunion.

Es ist wichtig, dass es einen Wiederaufbauplan mit einer zugehörigen Finanzierung gibt. Es ist peinlich, dass sich der in volks- und auch sonst wirtschaftlichen Belangen unkundige Kanzler in Belehrungen gegenüber den südlichen Nachbarländern ergeht. Klar bekommt er Applaus von seiner inländischen Zielgruppe und keinen von allen, die etwas von den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen verstehen – aber das sind wählertechnisch gesehen nicht so viele.

Es wird weniger Mittel für Klimaschutz, Forschung, Innovation geben – das sind ohnehin die Bereiche, die für die meisten so wenig greifbar sind. Das sind aber jene Themen, die entscheidend sein werden, das langfristige Überleben des Planeten und nachhaltigen Wohlstand zu ermöglichen.

„Langfristig“ und „nachhaltig“, das seien keine Begriffe in Wirtschaft und Politik, wollte mich ein Twitter-Diskutant belehren, und das habe Kanzler Kurz erkannt. Bravo! In die Geschichtsbücher eingehen als Meister der Inszenierung und des Machterhalts, aber ohne politische Agenda, ohne inhaltliches Ziel – da kann sich jemand auf die Schulter klopfen.

Die Chance Europa als Wertegemeinschaft zu verteidigen und als Innovationstreiber zu positionieren ließ man ungenutzt verstreichen. Viel zu komplex, um so etwas zu kommunizieren, wenn Kommunikation sich in kürzester Zeit in Umfragen wiederfinden muss.

Klar ist, es braucht in diesem Land eine politische Partei mit Reformwillen, echten Lösungen und den Anspruch einer politischen Agenda, die über ich-bezogene Profilierung hinausgeht. Daher braucht es NEOS auch 12 Jahre nach der Gründung mehr denn je für echte Erneuerung.

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