Pflege verdient Aufmerksamkeit und einen ehrlichen Umgang

16. Oktober 2018

Die Lebenserwartung steigt und damit verbunden ist auch ein höherer Pflegebedarf im Alter. Gleichzeitig überholt sich langsam aber stetig das lange Zeit geltende Frauen- und Familienbild. Das Altwerden in einem Großfamilienverband ist ebenso die Ausnahme wie es die Verfügbarkeit der Frauen für die unbezahlte Familienarbeit zunehmend wird.

Das mag der eine oder andere bedauern, für viele (v.a. Frauen) bedeutet es eben auch, ein selbstbestimmtes Leben führen zu dürfen. Das bedeutet in Folge, dass sich die Gesellschaft insgesamt dringend Gedanken über die so wichtige Aufgabe der Pflege für unsere pflegebedürftigen Kranken und Hochbetagten machen muss. Dass die Kosten der Pflege hoch sein können, kann nur jene verwundern, die die unbezahlte Familienarbeit, die bisher hauptsächlich von Frauen geleistet wurde, kaum zur Kenntnis genommen haben.

Im Juni 2017 wurde der Pflegeregress per 1.1.2018 abgeschafft. Alle waren sich einig. Alle? Nein, nicht alle: Die NEOS stimmten als einzige Fraktion gegen diesen Antrag, weil es weder ein Finanzierungskonzept noch eine klare Regelung darüber gab, wie mit laufenden Verfahren umzugehen sei.

15 Monate später stehen wir vor dem Chaos dieser Entscheidung: Noch immer kein integriertes Pflegekonzept, Verunsicherung der Bevölkerung, weil das Land für Pflegeregressansprüche aus der Zeit vor 2018 im Grundbuch steht. Da hilft die Versicherung der zuständigen Landesrätin, dass man mit diesem Recht „eh nichts mache“ wenig.

Jetzt kündigt der Bundeskanzler auf Bundesebene ein Konzept bis Ende des Jahres an. So wie das kommuniziert wurde, scheint das nicht ein Prozess zu sein, der am Ende einer breiten Einbindung von weitreichender Expertise steht. Aber das Ankündigen von Maßnahmen dieser Regierung sind wir ja schon gewohnt. Wir wollen Ergebnisse sehen.

Wir wollen Lösungen. Und zwar jetzt. Denn das Thema Gestaltung und Finanzierung der Pflege ist nicht über Nacht über uns hereingebrochen. Auch nicht in Niederösterreich. Es wird nur von Tag zu Tag offenbarer, was in der Scheinrealität des Systems Niederösterreich nicht zur Kenntnis genommen werden will:

  • Die Hochglanzbroschüre des NÖ Sozialberichts ist nur ein Teil der Wirklichkeit.
  • Das Ansprechen von offenkundigen und von objektiver Seite (Rechnungshof) aufgezeigten Problemen ist nicht das Negieren von außerordentlichen Leistungen im Bereich der Pflege.
  • Das Nicht-Ansprechen und So-tun-als-ob ist jedoch der Boden, auf dem weiteres Leid gedeihen wird.

Wie sieht ein integriertes Pflegekonzept aus, das auf robusten Beinen steht, und in das wir irgendwann im Fall des Falles hineinwachsen wollen?

  1. Es enthält valide Prognosedaten und Fakten zur Bevölkerungsentwicklung.
  2. Es enthält eine Beschreibung von internationalen best practice-Beispielen und ihre Anwendbarkeit bei uns in Niederösterreich.
  3. Es enthält eine Bedarfspersonalplanung im Pflegeführungs- und –fachkräftebereich, deren Aus- und Weiterbildung, stärkende Maßnahmen für deren psychische und physische Stabilität und einen adäquaten Kollektivvertrag.
  4. Es enthält Maßnahmen zur Attraktivierung der Pflege- und nebenbei gesagt auch der Gesundheitsberufe, da die Bedarfsplanung mutmaßlich eine Lücke aufzeigen wird.
  5. Es verknüpft sich mit dem – lt. Pressemeldungen – ebenfalls in Ausarbeitung befindlichen Gesundheitskonzept
    . Gerade bei älteren Menschen muss die Gesundheitsversorgung gemeinsam mit der Pflege gedacht werden.
  6. Es enthält – abgeleitet von Punkt 2
    . – unterschiedliche Schienen der Betreuung von Pflegebedürftigen, welche die Wünsche der Betroffenen und die Durchführbarkeit beinhalten: möglichst lange in den eigenen vier Wänden, 24-Stunden-Hilfen, mobile Einsatzkräfte, Tagesbetreuungsstellen, bis hin zu stationären Pflegeeinrichtungen.
  7. Es enthält kluge Ideen, wie pflegende Angehörige unterstützt und gestärkt werden können.
  8. Es enthält ein Finanzierungskonzept, das aus einer Kombination aus Budgetmitteln (steuerfinanziert), Versicherungsleistungen und sozial verträglichen Eigenbeiträgen bestehen kann.

Wenn die Hausaufgaben zu diesen 8 Punkten nicht gemacht werden, stehen viele alte Menschen und ihre Angehörigen früher oder später vor dem Dilemma, dass es zwar vielleicht Pflegeeinrichtungen gibt, die die Qualitätsanforderungen erfüllen, die wir uns wünschen, die sich die meisten aber nicht leisten können.

Wenn ich da zum x-ten Male von den Schönrednern höre, dass man nicht „alles schlecht reden“ dürfe und reflexartig für die großartige Arbeit, die ohnehin geleistet würde, gedankt wird, möchte ich rufen: Hallo? Ist da jemand? Das Leben findet hier in der Realität statt, nicht im Landtagssaal oder im Landhaus. Hier, wo um die 1.800 Menschen verunsichert sind, weil bei ihrem Eigentum im Grundbuch eine Regressforderung angemerkt ist. Hier, wo hunderte Pflegekräfte verzweifelt gesucht werden. Leider auch hier, wo schreckliche Vorkommnisse, wie in einer Pflegeeinrichtung in Kirchstetten, untersucht werden müssen. Hier, wo Pflegefachkräfte am Ende ihrer eigenen Kräfte sind und dringend Hilfe brauchen.

Es ist eine Frage der Würde des Menschen und eine Frage, wie sich die Solidargesellschaft dieser Herausforderung stellt.

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