Pflegeheim SeneCura-
mutmaßliche Versagen der Politik
ANFRAGE
der Abgeordneten Mag.a.Edith Kollermann an die Landesrätin Bildung, Familien und Soziales
Mag.a.Christiane Teschl-Hofmeister gemäß § 39 Abs. 2 LGO 2001
betreffend: Das Pflegeheim SeneCura in Sitzenberg-Reidling und das mutmaßliche Versagen der Politik
Gegen einige Mitarbeiter_innen eines privaten Pflegeheimes in Sitzenberg-Reidling (Bezirk Tulln) werden schwere Vorwürfe erhoben. Bei der Staatsanwaltschaft St. Pölten ist am Dienstag eine entsprechende Sachverhaltsdarstellung eingegangen. Die Staatsanwaltschaft prüfte zunächst, ob ein Anfangsverdacht bestand. Bis Mittwoch, den 31.03.2021 dürften sich die Vorwürfe jedoch erhärtet haben.
Die Staatsanwaltschaft St. Pölten ermittelt zum Einen wegen Quälens bzw. Vernachlässigens wehrloser Personen, zum Anderen wegen sexuellen Missbrauchs wehrloser Personen. Beschuldigt sind vier Pflegekräfte, drei Frauen und ein Mann, im Alter von 30 bis 45 Jahren. (vgl. Sitzenberg: Vorwürfe gegen Heimbetreuer – noe.ORF.at)
Dieser Fall erinnert leider frappierend an den Fall „Pflegeheim Clementinum“. Auch hier scheinen externe wie interne Kontrollen versagt zu haben. (vgl. 640A.pdf (noe- landtag.gv.at)). Es stellt sich die Frage nach der politischen Verantwortung des Landes Niederösterreichs, „Learnings“ aus dem „Fall Clementium“ sowie den Vereinbarungen zwischen dem privaten Betreiber und dem Land Niederösterreich.
All dies sind offene Fragen, welche von Seiten der Politik und den verantwortlichen Stellen bis dato nicht beantwortet wurden. Aufgrund des Fehlens oben genannter Antworten stellt die Gefertigte folgende
ANFRAGE
- Unter welcher (behördlichen) Aufsicht stehen private Betreiber von Pflegeheimen in Niederösterreich?
a. Von welchen Stellen und zu welchen Inhalten werden Pflegeheime, betrieben von privaten Betreibern, kontrolliert?
b. In welchen Abständen werden Pflegeheime, betrieben von privaten Betreibern, kontrolliert? - Nach welchen Kriterien werden Pflegeheime, betrieben von privaten Betreibern, als Vertragspartner des Landes Niederösterreich ausgewählt?
a. Mit welchem Auftragsvolumen ist das Land Niederösterreich beim Pflegeheim SeneCura in Sitzenberg-Reidling bis dato involviert? (Bitte um Aufschlüsselung der Summe nach Jahren)
b. In welchen Abständen wird die Einhaltung der Vertragsbestimmungen von Seiten des Landes Niederösterreich kontrolliert? - Welcher Personalschlüssel wird vom Land Niederösterreich bezüglich der Betreuung von Bewohner_innen eines Pflegeheims, betrieben von privaten Unternehmen, vorgegeben?
a. In welchen Abständen und welchem Ausmaß werden diese Vorgaben von Seiten des Landes kontrolliert? - Welche Reformen wird das Land NÖ aufgrund der immer wiederkehrenden Missbrauchs-Fälle bzw. Vorwürfe in niederösterreichischen Pflegeheimen vornehmen? (Bitte um konkrete Auflistung der Reformen/ Vorhaben bis 2023)
Beantwortung
Herrn
Präsidenten des NÖ Landtages
Mag. Karl Wilfing
Sehr geehrter Herr Präsident!
St. Pölten, am 18. Mai 2021
Zur Anfrage der Abgeordneten Mag.a. Kollermann betreffend „Das Pflegeheim SeneCura in Sitzenberg-Reidling und das mutmaßliche Versagen der Politik“, eingebracht am 7. April 2021, Ltg. 1562/A-5/334-2021, darf ich Folgendes mitteilen:
Die Beantwortung einer Anfrage durch ein Regierungsmitglied ist durch die
NÖ Landesverfassung, die Geschäftsordnung des Landtages von NÖ sowie der Geschäftsordnung der NÖ Landesregierung vorgegeben. Diese Bestimmungen sind jedenfalls einzuhalten.
Auf Basis dieser gegebenen gesetzlichen Grundlagen darf ich daher im Rahmen meiner Zuständigkeit wie folgt Stellung nehmen:
Pflegeheime privater Betreiber unterliegen als Sozialhilfeeinrichtung der Aufsicht der NÖ Landesregierung (§ 52 NÖ Sozialhilfegesetz 2000 – NÖ SHG).
Zur Überprüfung der im Errichtungs- und Betriebsbewilligungsbescheid erteilten Auflagen werden kommissionelle Aufsichtsverfahren durchgeführt. Die Durchführung der Aufsichten wird von der Abteilung Sanitäts-und Krankenanstaltenrecht (GS4) unter Beiziehung von Amtssachverständigen durchgeführt. Dabei wird kontrolliert, ob den bautechnischen, sicherheitstechnischen, brandschutztechnischen, pflegerischen und medizinischen bzw. hygienischen Anforderungen und den Zielen des NÖ SHG in Pflegeeinrichtungen entsprochen wird und ob die notwendige Sicherheit in der Einrichtung – insbesondere für BewohnerInnen, Personal und Angehörige – gewährleistet ist.
Grundsätzlich finden routinemäßige (kommissionelle) Aufsichtsverfahren alle fünf bis sieben Jahre – im Bedarfsfall auch in geringeren Intervallen – statt. Diese (großen) Aufsichten werden von der Abteilung Sanitäts- und Krankenanstaltenrecht anberaumt. Diese routinemäßigen (kommissionellen) Aufsichtsverfahren werden durch (kleine) Aufsichten ergänzt, die von Amtssachverständigen für Pflege bzw. vom Amtsarzt/von der Amtsärztin routinemäßig oder im Anlassfall vorgenommen werden. Derartige (kleine) Aufsichten erfolgen in regelmäßigen Abständen, wobei der Abstand zwischen zwei Aufsichten nicht mehr als ein bis zwei Jahre beträgt.
Private Pflegeheime werden als Vertragspartner des Landes NÖ nach den folgenden Kriterien ausgewählt:
- Bedarf an Pflegeplätzen aufgrund des vorliegenden Altersalmanachs
- Referenzen des zukünftigen Vertragspartners bzw. bisherige Erfahrungen und Zusammenarbeit, sofern mit dem zukünftigen Vertragspartner bereits Verträge bestehen
- Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des zukünftigen Vertragspartners
Im Jahr 2020 hat das Land NÖ für das Pflegeheim der SeneCura in Sitzenberg- Reidling Auszahlungen in der Höhe von € 3.677.200,56 im Rahmen der Hilfe bei stationärer Pflege inkl. Kurzzeitpflege getätigt.
. Die Bestimmungen zu Standards und Qualität werden im Rahmen der Aufsichtsverfahren überprüft. Die Einhaltung der Vertragskontingente wird laufend durch die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde geprüft. Abrechnungen werden bei Einlangen vor Auszahlung durch die Bezirksverwaltungsbehörde geprüft.
Zudem werden Wirtschaftsdatenblätter jährlich von der Abteilung „Soziales und Generationenförderung“ geprüft, ebenso Einmeldungen für laufende Statistiken.
Zur Berechnung des variablen Personalbedarfs wird als Grundlage die Kennzahl der „gewichtete Bewohner“ gewählt. Dieser beschreibt den erforderlichen Leistungsumfang für eine/einen durchschnittliche/n Bewohnerin/Bewohner in einem Pflegeheim in Niederösterreich mit einem Pflegestufendurchschnitt zwischen 4,5 und 5. Der „gewichtete Bewohner“ bildet den Pflegestufenmix, die Auslastung hinsichtlich der Belegung, den Mehraufwand durch Einzelzimmer, Minderaufwand durch Abwesenheiten von Bewohnern und Bewohnerinnen sowie teilstationäre Leistungen ab.
Seitens des Landes NÖ erfolgten in verschiedenen Pflege- und Betreuungszentren umfangreiche Erhebungen hinsichtlich der Personalzusammensetzung. Dabei wurden die erforderlichen Pflege- und Betreuungsmaßnahmen abhängig vom Bedarf der einzelnen Bewohner ermittelt. Nach Evaluierung ergibt sich daraus ein Personalmix von 20% für Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege, 57,5% für Angehörige der Pflegeassistenz und 22,5% für Angehörige der Heimhilfe.
Es wird darauf hingewiesen, dass gemäß § 50 Abs. 4b NÖ SHG der bescheidmäßig festgelegte Personalschlüssel für die Dauer der COVID-19 Krisensituation unterschritten werden darf, sofern eine angemessene Pflege, die der Wahrung und Förderung der Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung der Bewohner dient, gewährleistet ist.
Diese Vorgaben werden auch im Rahmen der kommissionellen Aufsichtsverfahren kontrolliert. Darüber hinaus finden kleine Routine-Aufsichten sowie Aufsichten im Anlassfall statt.
Das Land Niederösterreich nimmt als Bewilligungs- und Aufsichtsbehörde im Rahmen der Pflegeaufsicht für alle stationären Pflegeeinrichtungen in Niederösterreich gesetzliche Kontrollaufgaben wahr. Im Jahr 2017 wurde, eine darüber hinaus gehende, niederschwellige, proaktive und unabhängige Anlaufstelle für Beschwerden im Bereich Pflege und Betreuung (für BürgerInnen, Betroffene sowie MitarbeiterInnen im Gesundheits- und Sozialwesen) geschaffen. Diese Aufgaben nimmt seither die NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft wahr.
Der Ausbau der Pflegeagenden der NÖ Patienten- und Pflegeanwaltschaft dient dazu, Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennen, frühzeitig helfen und unterstützen zu können sowie Interventionen zur Verbesserung setzen zu können.
Mit der Umsetzung des Projekts „Gruppe GS neu“ wird es auch zu Umstrukturierungen in der Abteilung Sanitäts- und Krankenanstaltenrecht kommen. Es ist geplant, dass dadurch die Durchführung von Fachaufsichten intensiviert werden kann.
Mit freundlichen Grüßen
Christiane Teschl-Hofmeister
e. h. Landesrätin