Auge! Sebastian.

23. April 2020

In der Woche 6 der österreichischen Corona-Zeitrechnung begleiten Frühlingswetter und geänderte Tagesroutinen unseren Alltag. Sind es bei den Einen vorrangig eine Zunahme virtueller Arbeitsabläufe und Änderungen des Freitzeitverhaltens, sind Andere durch die Anforderungen von home office, home schooling und/oder fehlende soziale Kontakte an der Grenze des Belastbaren angelangt oder schon drüber. Haben die Einen sichere Arbeitsplätze, sei es im öffentlichen Dienst oder in anderen Berufen, die voll arbeiten können/dürfen, sind Andere von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit oder Insolvenz bedroht.

Die Auswirkungen einer Pandemie wie der aktuellen Covid-19-Pandemie hat die Welt noch nicht erlebt. Entscheidungen werden unter Unsicherheit getroffen. Welche die richtigen waren, werden wir erst im Nachhinein wissen. Umso wichtiger sind zwei Dinge:

  1. Wahrheit und Evidenz
  2. der Umgang miteinander

Dass man in Österreich als Opposition die Offenlegung von Strategien, Fakten und beteiligten Expertinnen und Experten fordern muss, dass die Regierung das nicht von sich aus tut, ist schon sehr bemerkenswert. Wie martialisch man diesen Kampf gegen das Virus auch betrachten mag: Selbst wenn man das als Krieg sieht, ist die Geheimhaltung der Strategie nicht notwendig. Das Virus liest nicht mit, sehr geehrte Regierung, es hat keine Gegenstrategie. Diesen Kampf gewinnen wir nur unter Beiziehen aller klugen Köpfe. Und mit Verlaub: die sind nicht von vornherein alle im engsten Kreis der Regierung. Weil sie nämlich auch andere Aufgaben haben, um Erfahrung und Erkenntnisse zu sammeln, die sie wiederum zu klugen Köpfen machen, zum Beispiel. Niemand verübelt einem, wenn man in der gegenwärtigen Situation etwas ausprobieren muss. „Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar“, sagte schon Ingeborg Bachmann. Mir ist eine zugemutete Wahrheit allemal lieber, als die „starke Hand“ eines „Führers“, selbst wenn er das Beste für das Land wollte oder sogar zustande brächte. Wo sind die Daten, Erkenntnisse, Strategien, die derzeit evaluiert werden und die – und nur die – uns aus der Krise führen werden?

Und dann gibt es noch die Ebene der Kommunikation. Jene Ebene, die in der Politik von vielen als die wesentlichere angesehen wird. Kommunikation basiert auf Sprache und die ist in den letzten Wochen um ein paar Begriffe reicher, im Wesen aber vielleicht ärmer, geworden: Neue Normalität, Lebensgefährder, systemrelevant, zum Beispiel
. Mit Sprache verändert man das Denken. Die „neue Normalität“ vermittelt die Sehnsucht nach dem Vertrauten und schleust zugleich Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte ein. Dagegen haben sich in den letzten Tagen zu Recht bereits einige Stimmen gewehrt. Die vom Innenminister so bezeichneten „Lebensgefährder“ definieren eine Gruppe, die man als Bedrohung, als einen Feind sehen kann, ja muss! Klar, dass die Vernaderer und Blockwarte in so manchen aufrechten Bürgern sich wieder aus ihrem Versteck wagen. Und dann das Wort „systemrelevant“, das vermeintlich besonders wertschätzend für die Angehörigen jener Berufe daherkommt, die für die Aufrechterhaltung der Nahrungsmittelversorgung, Gesundheit und Daseinsvorsorge sorgen.

Besonders beim zuletzt genannten Begriff ist Fingerspitzengefühl angesagt, um nicht missverstanden zu werden. Worum es mir hier geht ist, dass Begriffe wie die genannten der Spaltung der Gesellschaft dienen. Die Guten und die Bösen, die Wichtigen und die Unwichtigen, die Normalität und die Notsituation.

  • Es geht sich aus, dass wir die Arbeit der Angehörigen der Gesundheitsberufe, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Supermärkten oder Elektrizitätswerken in hohem Maße wertschätzen, ohne dass wir jene abwerten, die derzeit gar nicht oder nicht im vollen Umfang ihrer Arbeit nachgehen, ihren Beruf ausüben dürfen.
  • Es geht sich aus, dass wir gut begründete und verständlich formulierte Einschränkungen in Kauf nehmen, ohne dass sich so mancher Zeitgenosse bemüßigt fühlen muss, der Polizei noch Hinweise geben zu müssen, weil die Kinder in Nachbar’s Garten Ostereier gesucht haben und nur 80 cm statt einem Meter Abstand gehalten haben.
  • Es geht sich aus, verfassungskonforme Gesetze und Verordnungen zu beschließen/erlassen, weil Expertinnen und Experten einbezogen werden, auch wenn das dann zwei Tage länger dauert. Die Verfassung ist die Grundlage unseres Rechtsstaates, nicht nur eine „wenn Zeit dafür ist“-Behübschung.

Es ist eine Frage der Haltung und der Größe, ob ein Bundeskanzler Bedenken, Sorgen, Kritik der Opposition ernst nimmt, bei der Debatte im Hohen Haus anwesend ist und konkret antwortet, statt „zitzerlweise“ Pressekonferenzen inkl. Gänse(auf)marsch zu inszenieren. Ganz besonders schlimm empfinde ich ja die Werbekampagne der Regierung im Anschluss an die Nachrichten, die mich zum raschestmöglichen Abschalten veranlasst. Sie zeigt drastisch auf, wie die Regierung die Bevölkerung (oder ihre Zielgruppe) sieht. Es ist ein Kind-Ich, zu dem hier gesprochen wird. Auch dafür dürfen und werden wir zahlen.

Was ich von einer Bundesregierung und ihrem Kanzler, ob im Krisenmanagement oder im Tagesgeschäft, erwarte, sind Augenmaß und Augenhöhe: Augenmaß im Erkennen der bestmöglichen Maßnahmen und für die Kommunikation liegt die Messlatte auf Augenhöhe. Sie sprechen hier mit den Bürgerinnen und Bürgern, die in diesem großartigen Land leben und arbeiten!

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